Der wahre Künstler
Über die Kraft von Kunst in Marketing und Werbung
Der wahre Künstler ist eine erstaunlich leuchtend Fontäne
Bruce Nauman
„Ich gehe im Dunkeln eine Treppe hoch, möchte die letzte Stufe nehmen, doch weil ich schon oben bin, kommt keine mehr, und ich trete ins Leere. Das ist so ein seltsames Gefühl, das man dann hat. Unsere Erwartung wird durchbrochen.“
Dies sagte der Künstler Bruce Nauman 2004 in einem Interview mit „Zeit online“ und beschrieb damit, vermutlich ohne es zu wissen, ein sogenanntes "Insight" der Marketingwelt - einen Moment im Alltäglichen, der einen für einen Bruchteil von Sekunden komplett vereinnahmt, überrascht und gleichzeitig eine Art „Aha-Effekt" auslöst sowie das Bedürfnis, schnell zu erfassen, wie das jetzt hatte passieren können, sprich in welchem Zusammenhang dieser „Schritt ins Leere“ steht. Wenn es jemand schafft, uns mit einer Werbung auf solche Weise zu überraschen, fühlen wir uns gewissermaßen „ertappt".
Die Aufmerksamkeit auf eine Thematik zu lenken, die werbend ist und die ihre BetrachterInnen zugleich zu tiefergehenden Gedanken verleitet, ist eine Vorgehensweise, nach der erfolgreiches Marketing strebt: Mit einem sogenannten "Planning“ soll ein sogenanntes "Insight“ geschaffen werden, ein außergewöhnlicher Markenmoment, der (potentielle) KundInnen durch Einsicht und Erleuchtung dazu anregt, sich mit dem Erlebten zu beschäftigen. Hier kann Kunst meines Erachtens einiges leisten, denn sie hat die Kraft, solche Momente zu erzeugen. Wie aber lässt sich Kunst in Werbung einsetzen? Wie sollte spannende Werbung gestaltet sein und wie können Künstler Werbung gestalten, ohne dabei instrumentalisiert zu werden?
Kommen wir zurück zu Bruce Nauman. Sein Ansatz als Künstler ist inspirierend, um relevante und disruptive Markenerlebnisse zu schaffen...
Der Künstler als leuchtender Quell, der Wahrheiten ans Licht bringt
In Naumans Atelier konnte man von der Straße aus durch die Aussenverglasung hineinschauen. Dies störte ihn. So verhängte er die Scheiben zunächst mit einfachen Papierbahnen und widmete sich dann der Kreation eines Vorhangs - man könnte meinen, einem aus blickdichtem Material, der die Funktion der Sichtverblendung erfüllen kann. Aber Nauman wählt leicht transparentes rosanes Polyestermaterial. Dieses versieht er zudem mit folgender Inschrift: "The true artist is an amazing luminous fountain", zu dt: „Der wahre Künstler ist ein erstaunlich leuchtender Quell“. Die Buchstaben sind hochkant gedreht geschrieben. Naumans Vorhang ist zu einem „Hin- und Durchgucker“ geworden, zu einem Kunstwerk, mit dem er eine Botschaft in die Welt sendet. Mit seiner rosanen Farbe zieht der Vorhang Blicke auf sich und fordert seine BetrachterInnen heraus: Man muss den Kopf drehen, um den Satz lesen zu können und beginnt nachzudenken, was denn nun damit gemeint ist. Kurz nach der „Sichtschutz-Begebenheit" inspiriert Nauman eine Neon-Bierreklame und es entsteht ein weiteres Kunstwerk: "The true artist helps the world by reavealing mysthics truth“, zu dt. „Der wahre Künstler hilft der Welt durch das Aufdecken mystischer Wahrheiten.“ Das Werk hat die Form einer Spirale und ist ebenfalls im Stil einer Neonreklame gestaltet. Im Grunde lokalisieren sich beide Werke - der rosane Vorhang und die Neonspirale - zwischen Reklame und Kunst und beide Werke drücken ein Thema aus, das Nauman in dem Moment ihres Erschaffens gerade durch den Kopf geht, nämlich sein Künstler-Dasein. Dieses Thema hat er in weiteren Werken verarbeitet, u. a. in einer schwarz-weiss Fotografie von 1966 mit dem Titel "Self-Portrait as a fountain“, zu dt. "Selbstportrait als Quelle". Das Foto zeigt Nauman selbst vor ein paar Pflanzen stehend, die er aus seinem Mund zu gießen scheint; 1967 zeichnet er sich selbst mit Feder und Tusche als steinernen Akt. Aus seinem Mund sprudelt ein Wasserstrahl in ein flaches Becken, auf dem geschrieben steht "Myself as a Marble“, zu dt. „Ich selbst als Marmor". So entstehen Werke unterschiedlicher Art und Gattung, aus unterschiedlichen Materialien, an unterschiedlichen Stellen, mit denen er seine Emotionen authentisch ausdrückt und für andere nachvollziehbar machen möchte. All diese Werke sind miteinander verbunden; jedes einzelne Werk trägt an seinem Ursprung die Idee zu einer Lösung für das Thema, das ihn gerade beschäftigt.
Kunst im Alltäglichen
Bruce Nauman bringt mit Ehrlichkeit gegenüber sich selbst zum Ausdruck, wie er etwas empfindet. Durch seine Kunst kommen seine Wahrheiten ans Licht und werden für andere sichtbar. Er schafft Kunst im Alltäglichen, seine Werke lassen nicht unbedingt (gleich) Kunst vermuten. Ihm gefällt das Unvorhersehbare, das Direkte und zugleich Befremdliche.
So wie Bruce Nauman strukturieren wir mit art in strategy® künstlerische Aktivität und bringen sie in eine ganzheitliche Strategie. Wir abstrahieren unternehmensrelevante Themen und lassen sie von KünstlerInnen wiederholt hinterfragen und interpretieren. Dabei lassen wir ihnen Raum für freie künstlerische Assoziationen. Es entsteht - wie bei Nauman - ein Gesamtwerk zu einem Thema, dessen einzelne Werke wechselseitig voneinander abhängen. Jedes Kunstwerk transportiert den Unternehmensinhalt jeweils in einer anderen Form. Die einzelnen Werke ordnen wir zueinander an und setzen sie im Rahmen einer ganzheitlichen Strategie an verschiedenen Stellen ein, an denen (potentielle) KundInnen mit dem Unternehmen in Berührung kommen - den sogenannten "Touchpoints". So erhalten diese einen Mehrwert, wecken Interesse und Werbung wird nachhaltiger aufgenommen.
Von Erleuchtungsmomenten und nervender Werbung
Was Werbung betrifft, haben wir (fast) alle die Einstellung: „Ich lasse mich doch nicht beeinflussen.“ Das Gefühl, sich nicht beeinflussen lassen zu wollen, impliziert eine Negativeinstellung werbenden Maßnahmen gegenüber. Der Medien- und Marketing Publizist Wolfgang Koschnick bringt es auf den Punkt: „Werbung galt einmal als hohe Kunst der Kommunikation. Heute ist sie zur aufdringlichen Belagerung eines widerwilligen Publikums verkommen. Sie ist lästig wie eine Horde Zecken. Eben blöde Reklame. Das kann keine günstige Wirkung erzielen, sondern nur Ablehnung und Hass erzeugen.“ Sind wir mal ehrlich: Genauso ist es. Werbung nervt. Unser Kopf nimmt die ganzen Werbeinhalte, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden, schlichtweg nicht auf. Auch mangelt es Werbung häufig an Authentizität und bietet uns keinen Mehrwert. Sie dreht sich häufig um eine oberflächliche Produkt- und Gefühlswelt. Und das spüren wir. Wenn Werbung allerdings nicht wie Werbung erscheint; wenn sie Inhalte enthält, die einen nicht loslassen; wenn sie uns emotionalisiert und in eine interessierte Grundhaltung bringt, um an anderer Stelle wieder „abgeholt" zu werden - dann, und zwar nur dann, ist Werbung meines Erachtens gut gemacht. Dann erzielt sie auch Wirkung. Werbung muss uns einen Mehrwert bieten, selbst wenn wir diesen noch nicht bewusst einordnen können. Und Kunst eröffnet diese Spielräume.
Kunst kann die Authentizität von Werbung erhöhen
Kunst gibt keine Antworten, sie wirft Fragen auf. Durch die künstlerische und sinnliche Aufmachung der Inhalte sind die BetrachterInnen irritiert und herausgefordert, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Die freien Assoziationen, die die BetrachterInnen entwickeln, erhöhen wiederum die Authentizität der Wahrnehmung und die Nachhaltigkeit des Erlebten. Die künstlerischen Inhalte sind wahrhaftig und gesellschaftsrelevant - ein Kunstwerk verhilft KünstlerInnen, eigenen Gedanken Ausdruck zu verleihen und ihre Themen sind auch Themen, die die Gesellschaft beschäftigen, denn Kunst ist ein Spiegel der Gesellschaft.
Anm.: Quelle für Informationen über Bruce Nauman.
Autorin: Katharina Arimont
4. März 2020